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Kirchliches Arbeitsrecht – Schlechterstellung nicht zu rechtfertigen

Mal ehrlich: Wer von Euch weiß, dass für Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen das bundesdeutsche Arbeitsrecht nur bedingt gilt. In unseren Seminaren stellen wir fest, die meisten von Euch sind erstaunt, wenn das zum Thema wird. Und alle schütteln nur mit dem Kopf, weil eine derartige Schlechterstellung unserer Kolleginnen und Kollegen dort, sachlich nicht zu rechtfertigen ist. Wir haben Marion Schmidt, Fachanwältin für Arbeitsrecht, mit einem Schwerpunkt für kirchliches Arbeitsrecht, gebeten, uns die Hintergründe fachlich zu erläutern.

 

Kirchliches Arbeitsrecht – Mythos und Wahrheit

Marion Schmidt, Rechtsanwältin und Notarin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

Fachbeitrag von Marion Schmidt, Rechtsanwältin und Notarin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

Aus Art 140 GG i.V.m. Art 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) leiten die Kirchen seit Beginn der Bundesrepublik Deutschland ihren Anspruch ab, das bei ihnen geltende Arbeitsrecht – sowohl individualrechtlich als auch kollektiv eigenständig und unabhängig von dem für alle anderen Arbeitgeber geltenden Recht zu regeln. Diese Vorschriften regeln das sog. kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Danach dürfen die Kirchen ihre eigenen/inneren Angelegenheiten innerhalb der für alle geltenden Gesetze selbst regeln.

Nach dem II. Weltkrieg haben es die Kirchen geschafft, aus diesem Recht auf Selbstbestimmung auch das Recht zur Schaffung einer eigenen arbeitsrechtlichen Ordnung, also einer eigenen Gestaltung privatrechtlicher Arbeitsverhältnisse abzuleiten und sich hiermit bei den staatlichen Gerichten und insbesondere dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Gehör zu verschaffen.

Die Grundaussage besteht darin, dass – nach Auffassung der Kirchen – nur durch die Schaffung einer eigenen arbeitsrechtlichen Ordnung – das Leitbild der kirchlichen Dienstgemeinschaft verwirklicht und gesichert werden kann. Aus diesem Leitbild leiten die Kirchen auch ab, dass in ihren Einrichtungen grundsätzlich nicht gestreikt werden darf und sog. kirchengemäße Tarifverträge unter Beteiligung der Gewerkschaften nur in Betracht kommen, wenn diese zuvor ausdrücklich auf das Arbeitskampfmittel des Streiks verzichten.

Zwingend war und ist diese Auslegung jedoch nicht. Sie beruhte letztlich auf dem Zeitgeist, der nach dem II. Weltkrieg herrschte. Während der Weimarer Republik selbst, die das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen 1919 eingeführt hatte, ging es hierbei lediglich um die Unabhängigkeit der Kirchen vom Staat. Aus diesem Grund gab es z.B. auch im Betriebsrätegesetz von 1920 – anders als im heutigen BetrVG – keine Sonderregelung für die Kirchen. Es gab daher – soweit Kirchen ihre Mitarbeitenden als privatrechtlich angestellte Arbeitnehmer beschäftigt haben – damals in den kirchlichen und diakonischen Einrichtungen sowohl Betriebsräte als auch das Recht zum Streik, das z.B. 1920 von Friedhofsarbeitern in Hamburg auch erfolgreich wahrgenommen wurde.

Das heutige Verständnis des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ist also gerade nicht zwingend und schon gar nicht verfassungsrechtlich geboten. Es beruht im Kern auf geschicktem Lobbyismus der Kirchen, die insbesondere in den Anfängen der Bundesrepublik mit entsprechenden Wertvorstellungen der zuständigen Verfassungsrichter zusammentrafen.

Es gibt also tatsächlich keinen und schon gar keinen höheren Grund für ein kirchliches Sonderrecht zur Gestaltung privatrechtlicher Arbeitsverhältnisse. Im Gegenteil: Wenn Kirchen sich der Mittel des Privatrechts bedienen, sollten sie sich – wie alle anderen Arbeitgeber auch- im Rahmen der geltenden Gesetze bewegen. Nichts anderes ergibt sich im Kern aus Dem Wortlaut Art 140 GG i.V.m. Art 137 WRV.

Es gibt also rein historisch betrachtet tatsächlich weder eine Begründung für den Ausschluss des Streikrechts in diakonischen Einrichtungen noch ist es wirklich sachlich gerechtfertigt, dass in diakonischen Einrichtungen den Mitarbeitenden das Recht zu Bildung von Betriebsräten verwehrt wird.

Wir unterstützen daher gern jede Initiative, die dazu beiträgt, dass Mitarbeitende in diakonischen Einrichtungen die gleichen Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten erhalten wie ihre Kolleginnen und Kollegen in „normalen“ Wirtschaftsunternehmen.

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