Urteil: Anspruch auf ordnungsgemäße Beschäftigung im ungekündigten Arbeitsverhältnis
Kein ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer muss gegen seine Willen Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag führen. Zwar ging es um eine leitende Oberärztin, der Fall kann aber selbstverständlich auf andere Arbeitsverhältnisse übertragen werden.
Sachverhalt
Die Fachärztin ist bei der mehrere Krankenhäuser betreibenden Beklagten beschäftigt, zuletzt als geschäftsführende Oberärztin, mit weiteren Aufgaben wie beispielsweise Lehrtätigkeiten. Nach Spannungen mit einem neuen Chefarzt und längerer Arbeitsunfähigkeit wurde die Ärztin im November 2019 unter Fortzahlung der Vergütung »insbesondere auch für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses« freigestellt und musste Zugangsberechtigungen, Laptop, Schlüssel und einiges mehr abgeben. Mittels einstweiliger Verfügung verlangte die Ärztin, weiter beschäftigt zu werden.
Entscheidung
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Beschäftigung als geschäftsführende Oberärztin, den sie durch einstweilige Verfügung durchsetzen kann. Spannungen im Team oder der Wunsch des Arbeitgebers, die Stelle anderweitig zu besetzen, seien keine schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers.
In einem ungekündigten Arbeitsverhältnis besteht grundsätzlich ein Beschäftigungsanspruch. Das folgt aus dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Der Anspruch ist gerichtet auf vertragsgemäße Beschäftigung.
Eine solche Vorgehensweise, die dem Beschäftigungsanspruch entgegenstehen könnte, ist nur dann gerechtfertigt, wenn ihm überwiegende und schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Insoweit bedarf es einer substantiierten Darlegung seitens der Arbeitgeberin sowie der Überprüfung, ob die Interessen schutzwürdig sind und einer Interessenabwägung, inwieweit die dargelegten Arbeitgeberinteressen das Interesse des Arbeitnehmers an einer Beschäftigung überwiegen.
Es ist rechtlich unbeachtlich, dass es bei einem Chefarztwechsel üblich sein soll, dass der „neue Chef“ das Ärzteteam insgesamt anpasst und es in seinem Ermessen stehen soll, mit welchen (leitenden) Oberärzten und Assistenzärzten er zusammenarbeiten möchte. Der Chefarzt, der mit der Klägerin nicht mehr zusammenarbeiten möchte, ist nicht der Vertragsarbeitgeber, allenfalls der disziplinarische Vorgesetzte. Der Vertragsarbeitgeber ist jedoch rechtlich verantwortlich für die Einhaltung der Vorgaben des Arbeitsvertrages und die korrekte Ausübung des Direktionsrechts unter Beachtung billigen Ermessens und kann sich nicht seiner durch gesetzliche Spielregeln und Grenzen festgelegten Verantwortung unter Hinweis auf andere Beschäftigtengruppen entledigen. Wird ein neuer Chefarzt zusammen mit dessen favorisierten Team angeworben, obgleich die entsprechenden Arbeitsplätze noch besetzt sind, obliegt es der Beklagten, das Problem der Doppelbesetzung unter Beachtung der arbeitsvertraglichen Ansprüche seiner Arbeitnehmer zu lösen. Ein Teamüberhang oder ein nicht – mehr – passendes Team kann daher nicht als schutzwürdiges Interesse der Arbeitgeberseite anerkannt werden. Diese Fragestellung hätte die Beklagte ggf. bereits vor Entstehung des Überhangs lösen müssen.
Und: Kein ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer muss gegen seine Willen Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag führen.
LAG Schleswig-Holstein vom 06.02.2020, Aktenzeichen 3 SaGa 7 öD/19