Aktuelles BAG-Urteil: Wenn Bewerbungen für Menschen mit Behinderung zur Hürde werden
Menschen mit einer Behinderung haben es auf dem Arbeitsmarkt oft schwerer. Umso wichtiger ist es, dass sie bei Bewerbungen fair behandelt werden. In den vergangenen Monaten hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mehrere Entscheidungen gefällt, die deutlich machen: Arbeitgeber müssen sich an klare Regeln halten – und wer das nicht tut, riskiert den Vorwurf der Diskriminierung.
Im aktuellen Fall bewarb sich eine schwerbehinderte Person auf eine Stelle. Der Arbeitgeber hatte die Stelle in der Jobbörse der Agentur für Arbeit inseriert, aber keinen Vermittlungsauftrag erteilt. Dazu ist er allerdings gem. § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX als Arbeitgeber verpflichtet.
Das BAG betont, dass das Unterlassen eines Vermittlungsauftrags ein Indiz für eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung darstellen kann.
Allerdings war in diesem konkreten Fall das Verfahren bereits abgeschlossen, bevor die Bewerbung einging — das BAG verneinte letztlich einen Entschädigungsanspruch, weil die Entscheidung für den Mitbewerber bereits vor Eingang der Bewerbung getroffen worden war.
Begründung / Argumentation
Anwendungsbereich von AGG und SGB IX
Der Kläger ist als Bewerber im Sinne von § 6 Abs. 1 Alt. 1 AGG anzusehen, und der Arbeitgeber ist Arbeitgeber im Sinne des AGG.
Der Arbeitgeber ist auch durch § 164 Abs. 2 SGB IX verpflichtet, schwerbehinderte Menschen nicht wegen ihrer Behinderung zu benachteiligen, und die Regelungen des AGG gelten entsprechend.
Vermutung der Benachteiligung/Indizwirkung wegen Verstoßes gegen § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX
Nach § 164 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen, ob freie Stellen mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen sind, und nach Satz 2 dazu, frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen. Das BAG betont, dass eine „Verbindungsaufnahme“ nicht ausreichend ist, sondern dass der Arbeitgeber einen konkreten Vermittlungsauftrag erteilen muss (inklusive Übermittlung der für die Vermittlung erforderlichen Daten). Das bloße Einstellen der Stelle in die Jobbörse der Agentur für Arbeit reicht nicht aus, weil damit nicht automatisch ein Vermittlungsdienst aktiviert wird.
Ein solcher Verstoß gegen § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX löst gemäß § 22 AGG eine Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung aus. Die Beweislast geht dann auf den Arbeitgeber über, diese Vermutung zu widerlegen.
Widerlegung der Vermutung durch den Arbeitgeber
Der Arbeitgeber kann die Vermutung widerlegen, wenn er darlegt und ggf. beweist, dass keine Benachteiligung wegen der Behinderung vorlag, z. B. weil das Auswahlverfahren bereits vor Eingang der Bewerbung abgeschlossen war.
Im vorliegenden Fall hat das BAG bestätigt, dass bereits um 11:09 Uhr (am Tag des Bewerbungseingangs) die Entscheidung des Arbeitgebers für den Mitbewerber gefallen war – also zu einem Zeitpunkt, bevor die Bewerbung des Klägers einging (die Eingangsbestätigung am gleichen Tag war um 12:30 Uhr).
Damit war das Auswahlverfahren nach Ansicht des BAG bereits intern abgeschlossen, und die spätere Absage an den Kläger erfolgte nur noch formal. Die Rolle der Jobbörsenveröffentlichung und des Vertragsversands sah das Gericht als sekundär an.
Ergebnis
Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen — der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG wurde abgelehnt.
Urteil: BAG, 8 AZR 123/24 (27. März 2025)

