„Faule und leistungsunwillige Deutsche“ – Wie mit einer vermeintlichen Studie Stimmung gemacht wird.

Nicht nur Friedrich Merz klagt über „leistungsunwillige“ Deutsche, darüber, dass wir zu wenig arbeiten und „die 4-Tage-Woche und Work-Life-Balance“ uns nicht weiterbringen. Würden wir uns alle mehr am Riemen reißen und endlich richtig ranklotzen, dann, so suggeriert uns der Kanzler, ja dann geht es wieder aufwärts im Land.
Diesem Tenor folgen Arbeitgeberverbände, was uns nicht erstaunen sollte. (Ich meine, dass es umgekehrt ist. BDI und BDA geben diesen Tenor seit etwa zwei Jahren vor. Merz folgt denen. Die CDU ist nur der Schwanz mit dem der Hund wackelt.) Doch dass nicht nur konservative Medien wie Welt und Bild auf den Zug aufspringen, sondern auch der Spiegel, das sollte uns sehr nachdenklich stimmen. Denn alle miteinander beziehen sich auf eine „Studie“ des Instituts der deutschen Wirtschaft. Eine Studie, die es gar nicht gibt.
Die „aktion ./. arbeitsunrecht e.V. – Initiative für Demokratie in Wirtschaft & Betrieb“ traute dem Braten nicht und recherchierte. Das Institut der deutschen Wirtschaft räumte ein, dass es keine Studie gäbe. Die Medien hätten eine Pressemeldung einfach dazu gemacht. Ach so… Das erklärt natürlich alles. (Ironie)
Zu den Hintergründen haben wir ein Interview mit Elmar Wigand gesprochen:
Elmar, kannst Du bitte kurz etwas zu Eurem Verein sagen?
Die Aktion gegen Arbeitsunrecht unterstützt Betriebsratsgründer/innen und aktive Betriebsräte gegen Union Busting, also gegen gezielte Versuche, arbeitgeber-unabhängige Organisierung im Betrieb zu sabotieren und Einzelpersonen fertig zu machen. Wir erforschen dieses weite Feld, insbesondere die Anwaltskanzleien der Gegenseite und ihre Methoden, wir betreiben Recherche, machen Pressearbeit, schulen Betroffene, Beraten Gewerkschaften etc. Viel dreht sich um Arbeitsgerichtsprozesse, weil hier eine öffentliche Bühne existiert, auf der die meisten Konflikte verhandelt werden.
Wie kam es dazu, dass Ihr zu der „Studie“ recherchiert habt?
Ich hatte im Urlaub in Italien an einem Sonntagabend die Tagesthemen geguckt – genauer gesagt, war es der 18. Mai 2025, an dem der 1. FC Köln unter großem Jubel und mit einem Platzsturm in Müngersdorf in die 1. Liga aufgestiegen war. (Zum 7. Mal… Langsam könnte es mal aufhören!) Diese Bilder vom überbordenden Jubel wollte ich sehen. Aber womit machen die Tagesthemen auf? Eben mit einer Fleiß-Debatte, die durch BILD und BamS gepuscht wird, und völlig idiotischen Vergleichen. Die gegenwärtigen Arbeitszeiten in Deutschland wurden mit denen der 1970er Jahre verglichen – also der Zeit, in der die BRD erstmals richtig in die Krise rutschte. Und international werden „wir“ mit Polen, Tschechien und Griechenland verglichen – als wäre das ein Maßstab und als würden dort die Arbeitszeiten überhaupt in vergleichbarer Weise erfasst. Außerdem: Lange Arbeitszeiten sind ein Merkmal für ineffiziente Arbeitsorganisation und geringe Produktivität…
Meine Kollegin Jessica Reisner wollte sich die besagte „Studie“ mal genauer anschauen und schrieb eine Email. So musste der angebliche „Studien-Schreiber“ des IW, ein gewisser Holger Schäfer, einräumen, dass es tatsächlich keine Studie gab, sondern nur eine simple „IW-Nachricht.“.
Es ist ein Skandal im Skandal, dass die öffentlich-rechtlichen Medien, die sich immer so als Faktenchecker und Fake-News-Bekämpfer brüsten, diesen Quark einfach so übernommen haben. Wir haben den Ursprung auf einen Bild am Sonntag-Beitrag vom 18. Mai 2025 zurück verfolgt. Hier war noch von einer „IW-Analyse“ die Rede, was angesichts der dürftigen Erkenntnisse auch schon sehr hochtrabend war. Die Nachrichtenagentur AFP machte eine „Studie“ daraus und alle anderen „Qualitätsmedien“ übernahmen es ungeprüft.
Besonders dreist war der IW-Lobbyist Oliver Stettes. Er lässt sich im Sender Phoenix als „Studien-Autor“ vorstellen, ohne zu widersprechen und stößt in das Horn des BDI: „Merz hat recht.“ Also die Deutschen seien faul und bequem geworden.
Glaubt Ihr daran, dass es einfach ein Fehler der Medien war?
Ich vermute, dass der BILD-Redakteur Felix Rupprecht beim IW etwas zitierfähiges in Auftrag gegeben hat. Dass Rupprecht auf dem kurzen Dienstweg irgendetwas bestellt hat, mit dem er arbeiten konnte. Man kennt sich. Rupprecht hat für den Arbeitgeberverband BDI als PR-Mann gearbeitet, das IW wird vom BDI finanziert. Die Frage ist, was zwischen der Tagesschau und den Tagesthemen passiert ist. Um 20.00 Uhr war noch nicht von einer „Studie“ die Rede, der ARD-Journalist Jan-Peter Bartels bemühte sich in der Tagesschau noch um Ausgewogenheit – auch wenn es hier schon absurde Info-Grafiken zu sehen gab. Um 22.45 in den Tagesthemen war die „Fleiß-Debatte“ dann der Aufmacher. Jessy Wellmer begann so: Deutschland das Null-Bock-Land. Sind wir wirklich zu bequem?
Angeblich würden „wir“ in der internationalen Fleiß-Tabelle den drittletzten Platz belegen…
Das ist inhaltlich und methodisch alles so ein substanzloser Bullshit…! Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Dass sie sich aber noch nicht einmal die Mühe machen, irgend eine Studie fabrizieren zu lassen – so schwer ist das schließlich auch nicht – sondern dreist eine Studie behaupten, macht fassungslos. Das ist stinkende Faulheit und dreiste Täuschung.
So gesehen scheint die deutsche Medienlandschaft, insbesondere die Leitmedien und so genannte Qualitätsmedien, ziemlich auf den Hund gekommen.
Gab es Reaktionen auf Eure „Enthüllung“?
Auch das ist erstaunlich. Bislang nicht. Oder kaum. Wir wollen von ARD und ZDF eine Entschuldigung, eine Gegendarstellung an prominenter Stelle und Aufklärung, wie so etwas möglich ist. Wir sehen uns, zusammen mit vielen anderen lohnabhängigen Rundfunkgebührenzahlern hier als Geschädigte.
Die IG Metall knickte kurze Zeit später gegenüber der Kampagne ein und gab offiziell bekannt, die 4-Tage-Woche als Ziel aufzugeben. In den letzten Jahren war die Verkürzung der Wochenarbeitszeit ein Hauptstreikziel der IG Metall gewesen. Auch das ist erschreckend: Wer sich die SPD in die Regierung holt, kauft sich offenbar das Stillhalten oder sogar ein gewisses Krötenschlucken der DGB-Gewerkschaften und ihnen nahe stehender Institutionen ein. Auch die Hans-Böckler-Stiftung hätte durchaus vehementer dagegen halten können. Es gab zwar eine fundiert Replik auf den „Fleiß-Diskurs“, aber die Wissenschaftlichkeit des IW wurde nie in Frage gestellt. Dabei wurde hier wirklich haarsträubender Nonsens verbreitet. Reine Meinungsmache. In ganz billiger, fadenscheiniger Machart.
Tolle Arbeit! Wir danken Euch für Euer Engagement und für dieses Interview.