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Interview: Digitale oder hybride Betriebsratssitzung rechtssicher durchführen

Virtuelles Arbeiten, Online-Meetings und Videokonferenzen prägen seit der Corona-Krise die tägliche Gremiumsarbeit. Im BetrVG sind dazu entsprechende Regelungen enthalten und diese sind bereits durch einige LAG-Urteile konkretisiert worden. In unserem Interview mit Stefanie Kirschner geht es um Fragen zur Durchführung und Ausgestaltung digitaler oder hybrider Betriebsratssitzungen.

Stefanie Kirschner
Stefanie Kirschner (ZEHN+ Kanzlei für Arbeitsrecht, Berlin)
Immer mehr Betriebsräte nutzen die Möglichkeiten ihre Betriebsratssitzung hybrid oder komplett digital durchzuführen. Wie sind Deine Erfahrungen im Umgang mit solchen Sitzungsformen?

SK: Viele Betriebsräte haben sich im Zuge des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes sehr über die dauerhafte Möglichkeit gefreut, Betriebsratssitzungen auch virtuell oder hybrid abhalten können zu können. Allerdings kenne ich etliche Gremien, die seitdem fast ausschließlich virtuell oder hybrid tagen. Dabei stellt sich zum einen die Frage, ob dies bei manchen Themen tatsächlich eine gute Form des Austausches ist. Zum anderen hat der Gesetzgeber in § 30 Abs. 2 BetrVG Voraussetzungen aufgestellt, unter denen eine Betriebsratssitzung virtuell oder hybrid stattfinden kann. Halten Betriebsräte diese nicht ein, sind Beschlüsse, die sie in einer virtuellen oder hybriden Sitzung gefasst haben, unwirksam. Hierüber sind sich manche Betriebsräte nicht im Klaren.

Der Gesetzgeber hat einen klaren Präsenzvorrang für Betriebsratssitzungen eingeräumt. In der Praxis finden wir häufig das Argument „dann brauche ich nicht in den Betrieb zu kommen, das spart Zeit und Geld“. Einzelne Betriebsratsmitglieder nehmen dann digital an der Betriebsratssitzung teil. Reicht ein solches Argument, um den Vorrang für Präsenzsitzungen auszuhebeln?

SK: Nein, Vorrang der Präsentsitzung meint, dass zwingend mehr als die Hälfte aller Betriebsratssitzungen in Präsenz stattfinden müssen. Diese Vorgabe müssen Betriebsräte einhalten, sonst sind die virtuellen Sitzungen nicht rechtmäßig. Eine Präsenzsitzung liegt aber nur vor, wenn sämtliche Betriebsratsmitglieder, die an der Sitzung teilnehmen, in einem Raum anwesend sind und sich niemand virtuell zuschaltet. Wenn nur ein Betriebsratsmitglied digital teilnimmt, handelt es sich um eine hybride Sitzung und nicht mehr um eine Präsenzsitzung.

Welche Mindestanforderungen an eine Geschäftsordnung werden gestellt, um hybride oder digitale Sitzungen durchzuführen?

SK: Die Geschäftsordnung muss nach § 30 Abs. 2 BetrVG den Vorrang der Präsenzsitzung durch konkrete Regelungen absichern. Es genügt also nicht, nur festzuschreiben, dass der Betriebsrat den Vorrang der Präsentsitzung wahren wird. Vielmehr muss die Geschäftsordnung die Fälle, in denen eine virtuelle oder hybride Sitzung stattfinden darf, konkret beschreiben. Es reicht auch nicht, die Entscheidung über das Ob und Wie virtueller Betriebsratssitzung ganz allein dem*r Vorsitzenden zu übertragen. Möglich ist z. B., den Vorrang der Präsenzsitzung durch eine zahlenmäßige Begrenzung der virtuellen Sitzungen oder eine Begrenzung nach Themen in der Geschäftsordnung abzusichern. 

Eine Begrenzung nach Themen können etwa Gründe in der Person eines Betriebsratsmitglieds sein, die ihm die Teilnahme an der Sitzung in Präsenz unmöglich oder unzumutbar machen, z. B. weil das Mitglied sich auf Dienstreise befindet oder die Sitzung außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit liegt. 

Möglich ist auch eine Begrenzung auf Themen, die so eilig sind, dass ein Zuwarten auf die nächste ordentliche Sitzung nicht möglich ist, oder Gesundheitsschutzthemen. 

Zusätzlich sollte man aber unbedingt dem*r Betriebsratsvorsitzenden in der Geschäftsordnung die Pflicht auferlegen, Buch über die Anzahl der virtuellen und der Präsenzsitzungen zu führen. Denn vor allem bei den persönlichen Gründen der Betriebsratsmitglieder kommt man schnell über die 50 % -Schwelle. In diesem Fall muss die Geschäftsordnung regeln, dass trotz Vorliegens von Gründen für eine virtuelle oder hybride Sitzung diese in Präsenz stattfinden muss, um den Vorrang der Präsenzsitzung nicht zu verletzen.

Der Betriebsrat möchte digitale Sitzungen einführen. Der Arbeitgeber verweigert für die Betriebsratsmitglieder aber die entsprechende Soft- und Hardware. Lohnt sich ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren?

SK:Ja, das lohnt sich. Mehrere Landesarbeitsgerichte haben mittlerweile entschieden, dass der Arbeitgeber nach § 40 BetrVG verpflichtet ist, den Betriebsrat mit allem auszustatten, was notwendig ist, um virtuelle Sitzungen durchzuführen, sofern der Betriebsrat eine Geschäftsordnung beschlossen hat, die den Anforderungen nach § 30 Abs. 2 BetrVG genügt, also etwa einen tragbaren Computer, eine Kamera und ein Mikrofon.

Stefanie, Eure Kanzlei vertritt ausschließlich Betriebsratsgremien. Welche Trends und Entwicklungen seht ihr gerade im betrieblichen Alltag auf die Betriebsräte zukommen?

SK: Wir beobachten auf Betriebsratsseite, dass die Gremien verstärkt ihr Initiativrecht wahrnehmen und die Arbeitgeber zur Verhandlung und zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung „Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung“ auffordern. Das ist sehr zu begrüßen, weil in vielen Branchen die psychische Belastung in den letzten Jahren immer mehr zugenommen hat. Und natürlich haben noch immer Betriebsvereinbarungen zum mobilen Arbeiten Hochkonjunktur.

Auf Arbeitgeberseite sehen wir einen Trend zur Umstrukturierung, so dass sich viele Gremien mit Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen konfrontiert sehen, die viele Ressourcen binden und andere, betriebsratseigene Projekte vorübergehend lahmlegen.

Stefanie, vielen Dank für das Interview!

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