Ist es mit dem Europarecht vereinbar, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub der regelmäßigen Verjährung unterliegt?
Diese Frage hat das BAG dem EuGH vorgelegt.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) möchte wissen, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach §§ 194 ff. BGB der Verjährung unterliegt. Die Frage nach der gesetzlichen Verjährung spielte bislang kaum eine Rolle, da der Urlaub grundsätzlich vorher verfiel. Nach den Vorgaben des EuGH verfällt Urlaub nach BAG-Rechtsprechung nur noch dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf den drohenden Verfall aufmerksam gemacht hat. Dies hat ein Arbeitgeber vorliegend versäumt, im Prozess, in dem es um die Abgeltung von Urlaubsansprüchen ging, machte er dann geltend, die Urlaubsansprüche seien verjährt.
In dem Fall verlangte eine ehemalige Steuerfachangestellte vom Arbeitgeber die Urlaubsabgeltung für nicht genommenen Urlaub aus dem Jahr 2017 sowie den Vorjahren. Sie war von 1996 bis 2017 in der Kanzlei beschäftigt, laut Arbeitsvertrag standen ihr 24 Tage Urlaub im Kalenderjahr zu. Wegen des hohen Arbeitsaufkommens in der Kanzlei konnte sie 2011 sowie in den Vorjahren ihren Urlaub nicht antreten.
Der Arbeitgeber bescheinigte ihr mit Schreiben vom 1. März 2012, dass der „Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren“ am 31. März 2012 aus diesem Grund nicht verfalle. In den Jahren 2012 bis 2017 gewährte er seiner Mitarbeiterin insgesamt 95 Urlaubstage. Nach dem Ende der Beschäftigung zahlte ihr der Arbeitgeber eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 3.201,38 Euro brutto für nicht genommene Urlaubstage im Jahr 2017. Daraufhin erhob die Arbeitnehmerin im Februar 2018 Klage und forderte die Abgeltung von weiteren 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren.
Im Verlauf des Prozesses machte der Arbeitgeber geltend, dass die von der ehemaligen Mitarbeiterin geltend gemachten Urlaubsansprüche verjährt seien, da die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) bereits vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelaufen sei. Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Düsseldorf, ist dieser Auffassung nicht gefolgt. Es verpflichtete den Arbeitgeber mit Urteil vom 21. Februar 2020, (Az: 10 Sa 180/19) zur Abgeltung von 76 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2016.
Der Neunte Senat des BAG hat aktuell keine Entscheidung getroffen, sondern die Sache dem EuGH vorgelegt. Aus Sicht des Senats ist es entscheidungserheblich, ob die nicht erfüllten Urlaubsansprüche der ehemaligen Mitarbeiterin aus dem Jahr 2014 und den Vorjahren bei Klageerhebung bereits verjährt waren.
Das BAG wies darauf hin, dass die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmerin nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnten, weil der Arbeitgeber vorliegend seine Hinweispflicht nicht erfüllt habe.
Nach neuerer unionsrechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift, erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hingewiesen hat, dass dieser andernfalls verfallen kann.
Daher hat das BAG den EuGH um Vorabentscheidung über die Frage ersucht, ob es mit dem Europarecht vereinbar ist, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnte, gemäß § 194 Abs. 1, § 195 BGB der Verjährung unterliegt.
Hinweis: BAG, Urteil vom 29. September 2020, Az: 9 AZR 266/20 (A); Vorinstanz: LAG Düsseldorf, Urteil vom 21. Februar 2020; Az: 10 Sa 180/19